Bericht zum 10 Jahresgespräch

20.10.2009

Brief an den Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Kirche in Steinbek

Michael Ostendorf

Havighorster Redder 46c

D-22115 Hamburg


An den Kirchenvorstand der
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Kirche in Steinbek

Möllner Landstraße 50

D-22113 Oststeinbek


Betrifft: 10-Jahresgespräch


Hamburg, 20.10.2009


Liebe Kirchenvorsteherinnen,

Liebe Kirchenvorsteher,


in Bezug auf das bevorstehende 10-Jahresgespräch am 29.10.2009 hat Propst Bohl mich gebeten, einen kurzen Abriss über meine Zeit als Pastor in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Kirche in Steinbek zu geben. Das möchte ich hiermit gerne tun.


Dieser Abriss sollte kurz sein, wesentliche Punkte auch theologisch berücksichtigen und die Arbeit in Bezug auf die Gemeinde reflektieren. Keine ganz leichte Aufgabe! Zumal in diesem 10-Jahresgespräch die 15 Jahre meiner pastoralen Tätigkeit zu überblicken sind.


Erste Begegnung mit der Kirche in Steinbek


Die erste Begegnung mit der Kirche in Steinbek war für mich verbaler Natur. Nach dem 2. Examen waren wir gemeinsam beim Personaldezernat in Kiel, wo Stellen angeboten werden sollten. Herr Hörcher, der zuständige Dezernent, eröffnete das Gespräch mit mir mit den Worten „Sie sehen aus wie mein Freund Fiete Manzke, gehen Sie mal nach Kirchsteinbek!“ Damals wusste ich weder wer Fiete Manzke noch wo Kirchsteinbek war. Das hat sich dann schnell geändert. Mit dem Fahrrad machte ich mich auf Erkundungstour, besuchte Pastor Meyer und fuhr über die Dörfer. Und dann am 16.12 1994, am 60. Geburtstag von Pastor Manzke, hatte ich meinen ersten Tag in der Kirche in Steinbek. An diesem Tag hatte Frau Manzke in der Steinbeker Kirche eine Feierlichkeit in Erinnerung an ihren Mann organisiert und mich gebeten, eine Geschichte von Selma Lagerlöf vorzutragen. Seit dem war mir klar, dass zumindest meine äußerliche Ähnlichkeit mit Pastor Manzke für viele offensichtlich gewesen ist. In den folgenden Jahren war das immer wieder Gesprächsthema. 


Was hatte ich mitgebracht


Ebenso schnell wurde mir selbst deutlich, dass es gar nicht so leicht sein würde, mein eigenes Profil mit Leben zu füllen. In der ersten Zeit übernahm ich viele Tätigkeiten, die Pastor Manzke angestoßen oder verabredet hatte: Die Bibelstunde, die vielen Trauungen, Taufen und natürlich das große Pastorat, in das ich anfangs pro Zimmer erst einmal nur einen Umzugskarton stellen konnte.


Zuvor hatte ich 14 Semester studiert und mein Vikariat in der Trinitatiskirche Hamburg Hohenhorst, einem sozialen Brennpunkt, bei Pastor Buhl und Pastor Calliebe-Winter gemacht. In dieser Zeit hat mich immer wieder mein erster deutlicher Kontakt mit christlicher Theologie beschäftigt. Dieser war lange vor meiner Entscheidung zum Theologiestudium mit ca. 16 Jahren die Schrift Martin Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Gerade die scheinbar widersprüchlichen Eröffnungsthesen von Freiheit und Abhängigkeit hatten mich fasziniert: 

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Martin Luther Ausgewählte Schriften, Bd. 1, S. 238, Insel Verlag 19832)


Aufgrund meiner damaligen persönlichen Situation haben mir diese Thesen (und die ganze „Freiheitsschrift“ Luthers) die Welt der Theologie eröffnet. Freiheit und Abhängigkeit waren und sind für mich bis heute ganz entscheidende Bezugspunkte des Lebens, der Theologie und meiner Ausübung pastoralen Lebens. Und das Aushalten und (Er-)Leben scheinbarer Widersprüche gehört für mich zur täglichen Erfahrung christlichen Lebens und insbesondere auch meiner seelsorgerlichen Aufgabe.


Erste Kirchsteinbeker Jahre


Die ersten Kirchsteinbeker Jahre waren als Pastor zur Anstellung Jahre, in denen ich Herkömmliches übernommen und für mich neues ausprobiert habe. Die gesamte Zeit in Kirchsteinbek war für mich natürlich auch durch die kollegiale Beziehung mit und zu Pastor Meyer geprägt. Unsere Unterschiedlichkeit war und ist offensichtlich. Ebenso aber auch der kollegiale Respekt vor der Tätigkeit des jeweils anderen. An dieser Stelle kann ich diese Zeit nicht ausführlich würdigen, aber ein paar Stichworte möchte ich hier nennen. Zum einen fällt in  diese Zeit die Katastrophe des Unfalls während einer Jugendreise, bei dem 4 unserer Jugendleiter ums Leben gekommen sind und die anschließende Trauerarbeit zusammen mit Pastor Jürgen Probst. Später übernahm ich nach der Stellenstreichung der Diakonenstelle die offene Jugendarbeit im Jugendhaus für drei Tage in der Woche. Damit verbunden sechs oder sieben Jugendsommerfahrten nach Italien und Frankreich. Gerne erinnere ich mich auch an die Vorbereitung und die Durchführung der Israelreise und die intensive Beschäftigung mit dem Judentum und der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina. Leider konnte eine zweite Reise im Jahr 2000 wegen der 2. Intifada nicht nach Israel und Palästina unternommen werden. Diese Reise musste aus Sicherheitsgründen nach Griechenland (auf Spuren des Paulus) umgeleitet werden. Daneben gab es auch eine Menge an sogenannten Kasualien. Für mich bedeutete das eine große Zahl an Taufen, Beerdigungen und Trauungen. Allein ca. 30-40 Trauungen pro Jahr waren keine Seltenheit. In zwei Artikeln in der Zeitschrift „Lernort Gemeinde“ des Ev. Zentrums Rissen habe ich versucht, die Erfahrung theologisch zu reflektieren und in die Diskussion um eine Verortung von Kirche bei den Menschen einzubringen. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch (bis heute) bei den Hamburger Hochzeitstagen (Hochzeitsmesse auf dem Messegelände) in einem ökumenischen Stand engagiert, damit Menschen in dieser Lebenssituation Kirche niederschwellig wahrnehmen können. Einen der Texte habe ich für Interessierte als Anlage beigefügt.


Auch die persönlichen Veränderungen fallen in die erste Zeit in Kirchsteinbek. Die Hochzeit mit meiner Frau Sabine sowie die Geburten unserer Söhne Benjamin (1997) und Benedikt (1999).


Gerne blicke ich auch auf die vielen Stehgreiffamiliengottesdienste sowie die jährlichen Kinderbibelwochen zurück, die zusammen mit Pastor Meyer und Team gestaltet worden waren und allesamt viel Freude gemacht haben. Ein Jahreshöhepunkt war für mich die Osternacht, in der die Konfirmandinnen und Konfirmanden des jeweiligen Jahrgangs getauft worden waren. Mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich auch mehrere  Buss- und Bettagsveranstaltungen und Deutsche Evangelische Kirchentage besucht und andere Freizeiten unternommen.


Die weiteren Kirchsteinbeker Jahre


Nach mehreren Jahren in Kirchsteinbek sind viele Beziehungen zu Menschen entstanden. Damit verbunden war eine intensive persönliche seelsorgerliche Tätigkeit sowie die Begleitung von Familien in den Umbruchsituationen des Lebens. Diese Zeit war aber auch für mich persönlich in mehrfacher Hinsicht eine Zeit des Umbruchs. Spätestens seit 2003 war die Notwendigkeit der Einsparungen im Bereich der Kirche deutlich. Aber längst vorher hatte es in der Gemeinde Diskussionen, Stellenstreichungen und Einstellung von Arbeitsbereichen gegeben. Im größeren Kontext wurde die Straffung der kirchlichen Strukturen presseöffentlich diskutiert. Regionalisierung, Kooperation und Fusion waren und sind die beherrschenden Begriffe. Das alles ging auch an der Kirche in Steinbek und mir persönlich nicht spurlos vorüber. Denn ich selbst hatte mit dem Versuch der regionalen Zusammenarbeit im Raum Billstedt unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Zum Einen war ich intensiv am sogenannten ökumenischen Konvent beteiligt, der dann im Laufe der Zeit immer weniger produktiv gewesen ist und seit langem nicht mehr stattfindet. Außerdem gab es in dieser Zeit größere Rückzugstendenzen der benachbarten Gemeinden und die Versuche für sich jeweils den eigenen Arbeitsschwerpunkt zu beschreiben und zu fördern. Zum Anderen gab es mit einem regionalen Kinderkirchentag zum Thema Mose auch die gute Erfahrung eines Großereignisses im regionalen Kontext. Ein ähnlicher Prozess hat meines Erachtens auch in unserer Gemeinde stattgefunden, die mit den unterschiedlichen Bezirken und Strukturen gemeinsames und unterschiedliches immer wieder neu positionieren und nun in einen veränderten größeren Kontext stellen muss. Dabei ist es in all den Jahren  gar nicht so einfach gewesen die heterogenen Verhältnisse und Strukturen in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang zu stellen. Ich selbst habe mich daran an mehreren Stellen versucht. Einer dieser Versuche war die Übernahme des Vorsitzes des Kirchenvorstandes und der damit verbundenen Verantwortung. Hier gab es entscheidende Einschnitte in die Struktur der Gemeinde, die durch die Einsparnotwendigkeiten entschieden worden waren. Mehrere außerordentlich betriebsbedingte Kündigungen (Küster, Kirchenmusiker) und auch die Schließung des Kindergartens im Gemeindezentrum hatten das Ziel, die Gemeinde als ganzes funktions- und zukunftsfähig zu gestalten. Ein anderer dieser Versuche war auch der Stellenwechsel innerhalb unserer Gemeinde von Kirchsteinbek nach Mümmelmannsberg. 


Die Jahre in Mümmelmannsberg


Dieser Wechsel fiel genau in die Zeit der Diskussion um den Umfang der Gebäude  in der Kirche in Steinbek und die Notwendigkeit der Einsparung von Betriebskosten, damit die Schere zwischen Kirchsteuerzuweisung und notwendigen Ausgaben nicht noch größer werden würde. Für mich persönlich war die Frage nach einem Wechsel der Pfarrstelle nach zehn Jahren in Kirchsteinbek zu prüfen. Und in der Situation der Pfarrstellenstreichungen dann auf 3 ½ in der Kirche in Steinbek und des Weggangs von Pastorin Lehmann-Fahrenkrug, Pastorin Waack und Pastor Touché aus Mümmelmannsberg ergab sich für mich die interessante Veränderung dorthin. Darüber habe ich dann lange nachgedacht und mit der Familie darüber gesprochen. Mir selbst war die Arbeit in sozialen Brennpunkten (auch in Kirchsteinbek z.B. Sonnenland) immer ein Anliegen. Und so hatte ich mich dann bewusst dafür entschieden nach Mümmelmannsberg zu wechseln. In diesem Kontext hatte ich vorher schon einige Projekte mitgestaltet. So zum Beispiel in der Mümmelmannsberger Initiative für den Frieden oder bei der Wanderausstellung „Kirche, Christen, Juden von 1933-1945“. Die Arbeit in der Großraumsiedlung mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Lebenssituationen schien mir eine für mich passende Aufgabe zu sein. Aber so einfach wie gedacht war der Wechsel nicht. Und da ich innerhalb einer Gemeinde wechselte, wurde diese Situation auch wenig oder überhaupt nicht gestaltet. Es gab keinen wirklichen Abschied aus Kirchsteinbek und auch kein wirkliches Neuankommen in Mümmelmannsberg. Viele Kirchsteinbekerinnen und Kirchsteinbeker fragten, warum ich denn wegginge wo es doch in Kirchsteinbek viel schöner sei und viele Menschen in Mümmelmannsberg dachten damals, ich würde jetzt aus Kirchsteinbek kommen, um das Gemeindezentrum abzuwickeln. Das war für meine Entscheidung aber nicht der entsprechende Hintergrund. Viel eher ging es für mich um die Frage, wie Kirche auch mit verringerten finanziellen Möglichkeiten ein möglichst breites Angebot in einem Ortsteil wie Mümmelmannsberg mit immerhin fast 20.000 Einwohnern bereitstellen könnte, auch dann wenn eventuell Gebäude oder Gebäudeteile aufgegeben würden müssten. Das war die anfängliche Aufgabenstellung. Um mir darüber klar zu werden, habe ich in dieser Phase dann eine dreiwöchige Kur in der Habichtswaldklinik in Kassel gemacht. Und zu dieser Zeit war in Mümmelmannsberg auch die Trauer um den Verlust von 1 ½ Pastorenstellen spürbar. Dieser Diskussion stellte ich mich auch in weiteren Kreisen wie Aktiv wohnen oder der Stadtteilkonferenz. Durch die Aufnahme in die Liste der zu schützenden Kulturdenkmäler hat sich die Situation dann verändert. Zu dieser Veränderung trug auch der Umzug unserer Familie nach Mümmelmannsberg bei. Nach der Sanierung der Gebäude und Anlagen, die teilweise auch durch starkes ehrenamtliches Engagement möglich wurde, konnten wir in den letzten 1 ½ Jahren damit beginnen, das Leben der Gemeinde auf eine breite Basis zu stellen und eine Öffnung auch in den Stadtteil hinein auszuprobieren. Dabei kann das Gemeindezentrum auf eine große Gruppe Ehrenamtlicher bauen, die das gesamte Gemeindeleben auf unterschiedlichen Ebenen mit tragen und verantworten. In meiner pastoralen Tätigkeit habe ich versucht daran anzuknüpfen, altes und gewachsenes wahrzunehmen und neue Impulse auszuprobieren. Dabei konnte ich teilweise auf meine kirchsteinbeker Erfahrungen zurückgreifen. Daraus ist nun in Mümmelmannsberg die Osternacht sowie die Kinderbibelwoche entstanden. Intensiver wurde auch die Nacht der Kirchen und weitere besondere Gottesdienste. Zu meinen regelmäßigen Gottesdiensten gehören die 14tägigen Andachten in der Seniorenwohnanlage und die 14-21tägigen Gottesdienste mit zwei großen Gruppen aus dem Kinderhaus St. Nikolaus. Ich persönlich bin außerordentlich dankbar, dass das gottesdienstliche Leben im Gemeindezentrum auf mehrere Pfeiler bauen kann. Neben der Gottesdienstgruppe übernimmt Frau Beetz als Prädikantin hier eine sehr wichtige Aufgabe. Und es ist erstaunlich, dass der Besuch unserer Gottesdienste sichtlich zahlreicher geworden ist und immer bunter wird. 


Neben dieser Arbeit ist es mir wichtig, die Gruppen und Arbeitsbereiche im Gemeindezentrum weiterhin miteinander in Verbindung zu bringen und die Vernetzung mit anderen Stadtteilgruppen und Angeboten zu befördern. An dieser Stelle möchte ich exemplarisch den Dialog mit dem Islam und die gemeinsamen Veranstaltungen (Friedensgebet beim internationalen Freundschaftsfest, gegenseitige Besuche zu hohen Festtagen, Fastenbrechen) nennen. Daher ist mir auch die Präsenz vor Ort sehr wichtig. Bei einer Kirchenmitgliedschaft von ca.17 oder 18 % bedeutet pastorale Tätigkeit eben gerade auch stadtteilbezogene Arbeit, um die Gemeinde nach innen hin zu stärken aber auch nach außen hin sichtbar und wahrnehmbar zu machen. 


Ausblick


Insgesamt freue ich mich über die gegenwärtige Situation im Gemeindezentrum Mümmelmannsberg und die Arbeit, die wir dort gemeinsam tragen und verantworten. Es ist erkennbar, dass es nach einer Zeit des Abschieds von alten Strukturen nun einen Aufbruch gibt. Diesen gilt es in Zukunft zu bedenken und zu gestalten. Wie soll Kirche in Mümmelmannsberg zukünftig aussehen? Welche Schwerpunkte soll es geben? Einen kleinen architektonischen Hinweis gibt uns das Gebäude des Gemeindezentrums selbst: Es ist hell, offen und einladend. Es will Raum bieten und Kommunikation ermöglichen. Dabei durchbricht es aber auch herkömmliche kirchliche Strukturen. Es ist rein äußerlich nicht sofort als „Kirche“ zu erkennen. Wenn Menschen in das Gemeindezentrum kommen, sind sie meist positiv überrascht. Gerade in den  letzten Monaten und Wochen (z.B. zur Nacht der Kirchen, zum Openair Gottesdienst oder zur Kurzfilmnacht)  habe ich viele Menschen eingeladen und angetroffen, die sagten, dass sie schon lange hier wohnten, aber noch nicht gewusst hätten, dass hier eine Kirche sei. Gerne möchte ich dazu beitragen, dass solche Aha-Erlebnisse weiterhin möglich sind.


Mit herzlichen Grüßen

Michael Ostendorf

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