Gekreuzigter in Magdeburg

15.10.2022

Gekreuzigter Bronze (1979)

Fritz Cremer (22.10.1096-1.9.1993)


Auf unserer Harzreise im Oktober 2022 machten wir eine Tagestour nach Magdeburg. Dort sollte das Wetter herbstlich angenehm sein. Und da wir noch nicht in dieser Elbe-Stadt gewesen waren, konnten wir der Verlockung nicht widerstehen.


Das Auto haben wir im Parkhaus des Allee Centers geparkt. Von dort ein paar Schritte. Die Familie wollte in ein Buchgeschäft, um neuen Lesestoff für die Kinder zu finden.


Ich selbst wollte gerne die St.Johanniskirche anschauen. Diese war allerdings durch eine geschlossene Gesellschaft nicht für die Allgemeinheit zugäugig. Sehr schade! 


Johanneskirche

Aushang Oktober 2022

Wie der Aushang im Schaukasten zeigte, wird die Kirche nur noch als Kultur- und Veranstaltungszentrum benutzt. Deshalb gibt es viele geschlossene Gesellschaften.


Wenn mal geöffnet sein sollte, kostet der Eintritt 3,00€.


Mir kamen einige Menschen mit einer Urkunde der IHK und einer Blume entgegen. Fotos wurden gemacht und gefeiert. 


Im Haupteingang gibt es eine Bronzetür und davor zwei Bonzeskulpturen von Heinrich Apel (1935-2020) „Trümmerfrau“ (1982) und „Mutter mit Kind“ (1982).




Einen Schritt weiter steht eine großes Lutherdenkmal (1886) von Emil Hundrieser (1846-1911).

Von dort aus ging ich dann um die Kirche herum. Es sind Glocken zu entdecken und ich konnte auf den Wall blicken.


Von Weitem sah ich eine Skulptur. Diese wollte ich natürlich genauer betrachten. Erst ein Blick über die Mauer. Dann Schritt für Schritt näher.


Ein großer Mensch mit ausgestreckten Armen. Im Gegenlicht der Sonne kaum wirklich im Einzelnen zu erkennen. Noch einen Schritt weiter.


Einen Platz im Schatten der Skulptur suchen! Ein Mann. Nackt. Verletzt. Gequält. Unsicherer Stand. Trotzdem kraftvoll. Die rechte Hand zur Faust geballt. Die linke Hand leicht geöffnet. 


Leicht nach vorne gebeugt, scheint der Mann auf mich zu zukommen. Bewegt.


Ich bin bewegt und möchte genauer schauen. Von der rechten Seite und von hinten mit dem Sonnenlicht kann ich besser sehen. 


Ein muskulöser Nacken. Erhobener nach vorn gestreckter Kopf. Ein Kämpfer? Ein nackter Kämpfer? 


Ich gehe weiter herum. Von hinten sieht der Kopf nicht mehr so aufrecht aus. Eher hängend. Ja, der ganze Körper scheint zu hängen. Die Sohlen der Füsse sind zu sehen. Wie kann ein so schwerer Körper auf Zehenspitzen stehen?


Auf dem Betonsockel ein Graffiti: „ART“!


Wie ein Stück weiter herum. Auf dem Boden ist der Schatten des Mannes deutlich zu sehen. Ein Mensch mit ausgestreckten Armen am Boden! Jetzt kommt mir diese Haltung bekannt vor! Klar umrissen. 


Soll das der Gekreuzigte sein? 


Noch weiter rum. Im vollen Gegenlicht. Ich sehe den Mann fast Schwarz-Weiß! 


Nun stehe ich in seinem Schatten.


Ich suche nach einem Hinweis - einer Tafel. 


Auf dem Betonsockel finde ich sie jetzt. Darauf steht:


„Gekreuzigter

Bronze - 1979

Fritz Cremer


Zum Gedenken an die Zerstörung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg stand die Plastik seit 1979

in der Ruine der Johanneskirche.


Nach dem Wiederaufbau fand sie im Jahre 2010 einen neuen Platz in unmittelbarer Nähe der Kirche, die seit 1999 als moderner Konzert-, Tagung- und Ausstellungsort genutzt wird.“


Ein „Gekreuzigter“ also. Jesus?


Ja, für mich ist es Jesus! Der Mensch gewordene, leidende und gekreuzigte Gott.


Diese Skulptur Fritz Cremers ist für mich so viel mehr passend als die vielen anderen Kruzifixe, die ich in dieser Woche im Harz in den verschiedenen Kirchen gesehen hatte. Kein Triumphkreuz! Nicht vergoldet! Nicht mit echtem Menschenhaar! Nicht vergötternd!


Es ist der Gekreuzigte - ohne Kreuz! Und doch gekreuzigt. Gekreuzigt von den unendlich vielen Kreuzen dieser Welt. Der Mensch! 


Für mich der Mensch Jesus. 


Und so steht er plötzlich da. Mitten im Leben. Mitten im Alltag der Menschen. Viele gehen geschäftig daran vorbei. Laufen durch seinen Schatten hindurch. Sie kennen ihn vielleicht. Wissen um seinen Platz und seine Haltung.


Mir persönlich ist dieser Gekreuzigte in Magdeburg von Fritz Cremer das erste Mal begegnet. Und ich bin froh, dass er nicht in der Johanneskirche geblieben ist. 


Er ist öffentlich. Keine geschlossene Gesellschaft. Um mich ihm zu nähern, braucht es keine 3,00€. 


Und tatsächlich ist diese Begegnung für mich unbezahlbar. 


Und, ja, es ist ART! Kunst!


Die Kunst mit etwas in die Welt gesetztem eben diese Welt zu verändern. Den Blick zu weiten, zu schärfen zu ändern. 


Dafür bin ich dankbar!


P.S.: 

Hören konnte ich auch etwas. Die Geräusche aus dem Fussballstadion, das unweit auf der anderen Elbseite ist. Dort spielte der 1.FC Magdeburg gegen Eintracht Braunschweig in der 2.Liga. Leider ging das Spiel 0:2 verloren.


P.P.S.: 

Der „Stadtschreiber Magdeburg“

So bespricht der Stadtschreiber den „Gekreuzigten“:


„Es ist natürlich für jedermann möglich, ein Denkmal einfach einmal anders in die Linse zu rücken, dass aus dem Gekreuzigten von Cremer eine Art Kingkong-Pose gegen Himmel und Laubbaum wird. 


Es scheint so gar, als teilte dieses Monster gerade die Wolken und verschaffe sich einen blauen Hintergrund beziehungsweise könnte die kraftprotzige Tat den Versuch darstellen, das Grün des Laubes mit dem Weiß der Wolken zu verschweißen. 


Als wolle Kingkong hier den blauen Himmel hinter sich zuhängen und aus seinem Umfeld verdrängen.“


Quelle: 

Stadtschreiber-magdeburg.de

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