Das Thema der Sonderausstellung der Kunst- und Kulturtage Mümmelmannsberg 3.+4.11.2012 lautete „Metamorphose“.
Wiedermal eine echt Herausforderung. Ich brauchte eine ganze Weile der Annäherung zu diesem Thema. Wandlung! Verwandlung!
Ich dachte an Kafkas „Verwandlung“. An andere künstlerische Versuche. Und so macht ich einer ersten Versuch mit einer Barlachskulptur, die ich im Barlachhaus im Hamburger Jenischpark fotografiert hatte.
Das Wiedersehen (Thomas und Christus), 1926
(C) Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Fotos: Michael Ostendorf am 8.1.2012
Das Wiedersehen von Thomas und Christus schien mir dazu wirklich geeignet zu sein.
Thomas, der den Berichten der anderen nicht glauben mag. Der sehen und fühlen möchte. Der der Auferstehung, dieser letztgültigen Wandlung, nicht traut.
Und tatsächlich ist Jesus, dieser Christus, anders. An den Wundmalen erkennbar. An den Worten. Aber eben nicht auf den ersten Blick. Die äußere Gestalt ist nicht mehr vertraut.
Glauben scheint sich nicht auf das Äußere sondern auf die innere Verbundenheit des Leben - des neuen Lebens - zu beziehen.
Thomas ist gekrümmt. Soll es ein Begrüßungskuss werden? Oder ein staunendes Hinsehen? Ein ungläubiges Staunen? Eine ehrfürchtige Unterwerfung?
Barlachs Jesus scheint Thomas in der Umarmung aufrichten zu wollen.
Mit dieser Geste wollte ich „spielen“. Sie verwandeln. Verwandeln mit modernen Methoden. Pixel. Vom Kleinen zum Großen. Auflösung der äußeren Gestalt bis hin zur Unkenntlichkeit.
Und obwohl mir dieser kleine Bildzyklus gefallen hat, hatte ich das Gefühl einer echten Metamorphose damit nicht näher gekommen zu sein.
Dieser Versuch war mir immer noch zu äußerlich. Zu weit weg vom eigenen gegenwärtigen Leben. Vielleicht auch zu ästhetisch künstlerisch.
Wie also dann?
Wo begegnen mir Verwandlungen im eigenen Leben? Sind es immer so große Ereignisse wie bei Jesus und Thomas?
Sind Metamorphosen immer einmalig?
Oder vollziehen sie sich öfter?
Nun ging ich mit diesen Gedanken weiter. Tagtäglich.
Mir begegnen viele „kleine“ Verwandlungen. Gar nicht so spektakulär. Und schon gar nicht weltbewegend. Aber doch ganz persönlich.
So sollte mein betrag zur Sonderausstellung der Kunst- und Kulturtage sein: PERSÖNLICH!
Ein Blick in den Spiegel. Eine allmorgendliche Rasur. Die Verwandlung aus der Nacht in den Tag. Aus dem Traum in die Wirklichkeit. Vom Dunkel zum Licht. Vom Aufstehen zum „Für den Tag bereit sein“!
Von den gewachsenen stoppeligen Barthärchen zur glatten Haut.
Das soll eine Metamorphose sein?
Ja, die Betrachterin - der Betrachter - darf sich genau diese Frage stellen. So eine Alltäglichkeit soll so bedeutsam sein? Wenn so etwas hier eine Platz findet, dann hätte ich ja auch etwas präsentieren können.
Ist das Kunst?
Die Barlachbilder hätten diese Reaktionen bestimmt nicht geweckt. Sie hätten vielleicht Beachtung gefunden. Wegen der Idee. Wegen der Farben. Wegen Barlach. Meinetwegen auch wegen der Umsetzung des Themas.
Aber hätten sie Menschen im eigenen Leben herausgefordert? Herausgefordert die je eigenen Verwandlungen zu bedenken? Sich selbst in dem Spiegel zu betrachten, in den ich Morgens schaue?
Das war also die Idee:
Die Metamorphose beim morgendlichen Rasieren.
Aber wie kann ich das realisieren und umsetzen?
Wieder Versuche!
So nahm ich eines der persönlichen Bilder von mir.
Ein für mich typisches Foto. Mit Gitarre. Beim Singen.
Und stellte es frei. Am PC schnitt ich den Hintergrund ganz grob weg und experimentierte damit. So wie vorher beim Barlach.
Das kontrastreiche Schwarz-Weiß sollte es sein.
Aber wie konnte das in Form gebracht werden?
Die Rasur braucht einen Spiegel. Einen Rasierer.
Die Metamorphose sollten einen gewissen Rahmen haben.
▪ Der Rahmen (31x73cm) war einfach: IKEA.
▪ Der Spiegel: ALUFOLIE.
▪ Der Rasierer: GILLETTE.
Das war der Rasierer, den ich bis dahin täglich benutzt hatte.
Um die Metamorphose auch etwas plastisch zu gestalten, sollte der Rasierer auf das Glas platziert werden. Er sollte so zu sagen aus dem Rahmen fallen.
P.S.: Von diesem Moment an habe ich dann den guten alten Rasierhobel benutzt und viel Geld und Plastik eingespart.
Mein Schwarz-Weiß Gesicht habe in zwei Versionen bearbeitet:
▪Einmal das linke mit der Rasenfläche.
▪Das rechte Gesicht habe ich gespiegelt. Dabei aber Schwarz und Weiß getauscht.
Au der rechten Seite habe ich dann mit Alufolie den Spiegel angedeutet und die beiden Gesichter auf samt der Folie auf einen schwarzen Tonkarton Hintergrund geklebt.
Das alles passte dann gut ein den Rahmen. Danach habe ich den Rasierer auf das Glas geklebt.
Spiegelbild im Spiegelbild.
So präsentierte ich meine „Metamorphose“ in der Sonderausstellung der Kunst- und Kulturtage 2012.
Durch die Spiegelung im Glas wurde die Betrachterin oder der Betrachter tatsächlich mit in die Metamorphose hineingenommen. Ein willkommener - wenn auch nicht geplanter - Effekt.
Natürlich war ich gespannt auf die Reaktionen. Ab und zu schaute ich in der Fläche der Sonderausstellung vorbei. Gegen viele der anderen Metamorphosen, die größer, bunter, gemalter und künstlerischer waren, fiel meine nicht unbedingt ins Auge. Wie immer bei meinen Arbeiten. Sie sind nicht auf den ersten Blick zu sehen. Und dieser zweite Blick des genauen Hinsehens ist genau das, was ich mir wünsche:
Diese assoziative Beschäftigung mit dem, was man da sehen und erleben kann.
Scheinbar wurde das wahrgenommen. Denn ich hatte das große Glück für diesen Beitrag den 2.Preis der Jury zur Sonderausstellung Metamorphose verliehen zu bekommen!