Kontakt | Gottesdienste | Presse | Texte | Grußworte | JuxX | Sitemap | Datenschutz |
Diese Kirche und ihr Pastor sind von Format
Wiebke Schwirten - Bergedorfer Zeitung - 31.1.2024
Foto (C) Wiebke Schwirten
Diese Kirche und ihr Pastor sind von Format
Dreieinigkeitskirche wird 410 Jahre alt, Pastor Michael Ostendorf ist seit zehn Jahren dabei. Empathisch und kritisch
Wiebke Schwirten
Allermöhe.
Die Dreieinigkeitskirche Allermöhe-Reitbrook wird am 4. Februar 410 Jahre alt, Pastor Michael Ostendorf (61) ist dann zehn Jahre Pastor der Gemeinde. Uninteressant? Mitnichten. Denn diese alte Kirche hat Format. Der Mann nicht minder.
Wir treffen uns zum Gespräch in der Dreieinigkeitskirche am Allermöher Deich. Ein Bau, der nur so strotzt vor Hinguckern, außen wie innen. Pastor Ostendorf könnte vermutlich tagelang nonstop von der Kirche direkt an der Dove-Elbe erzählen. So viel hat er schon an und in ihr entdeckt. So viel hat er schon über sie gesprochen. Der extrem alte Turm, der schmuckreiche Hein-Baxmann-Altar, drei Bronze-Glocken, von denen eine Shalom heißt. Die Kirche interessiert tatsächlich viele Menschen: „Busseweise kommen hier Menschen an, die das alte Gemäuer anschauen wollen“, sagt Pastor Michael Ostendorf.
Und dann erzählt Michael Ostendorf, streut kleine Geschichten ein, die nicht jeder kennt oder erkennt. Etwa die von Hermann Schemmann, vor mehr als 130 Jahren erster Landesherr der Marschlande (1892-1903). Er ist winzig dargestellt in einem kleinen Fenster hinten in der Kirche. Er steht da auf einem Brett, das über einem Flüsschen liegt. Eine Brücke. Tatsächlich ließ er in Allermöhe-Reitbrook Mühlen- und Kirchenbrücke bauen. Vergangenheit, die bis in die Gegenwart strahlt. So wie die ganze Kirche. Geschichte, die gegenwärtig ist.
Besucher sind begeistert: Die Immobilie Kirche mobilisiert Spannend erzählt er von den Fährmännern aus der Zeit vor den Brücken. Von der „armen Socke“, die bei der Kirche für wenig Geld schippern musste, dem reichen Fähr- mann bei der Mühle. Und ihm fällt noch viel mehr ein. Die Schnitzereien an den Kirchenbänken etwa, die für die Menschen in den Marschlanden stehen. Winzigkeiten ganz groß. So geht Pastor Ostendorf glatt als Touristenführer durch. Die meisten Zuhörer gehen glücklich, nehmen etwas mit. Das Gebäude ist dabei aber nur ihr Stellvertreter für Religiosität. Immerhin: Es ist etwas bei ihnen angestoßen, sie sind in Bewegung gebracht. Die Immobilie Kirche mobilisiert.
Für die Menschen in den Marschlanden ist die Dreieinigkeitskirche weit mehr als eine hübsche Immobilie. Könnte sie sprechen, da ist Ostendorf sicher, würde sie sagen: „Ich will kein Museum sein.“
Sie ist ein Treffpunkt. In ihr wird Musik gemacht, es gibt moderne Kunst zu sehen, Diskussionen werden geführt, Gottesdienste erlebt. Die Menschen bringen sich ein. Dauerhaft räumlich verändert wird sie allerdings nicht. Denkmalschutz.
Pastor Ostendorf erreicht wohl an die tausend Menschen regelmäßig. „Ich treffe diese Menschen bei Gottesdiensten, im Seniorenkreis, bei Beerdigungen, im Dorf“, sagt er. Nicht alle auf einmal. Aber so binnen eines Monats hat er seine Gemeinde getroffen. Viele rufen auch an, schreiben, vertiefen im Gottesdienst Gehörtes – schütten ihr Herz aus. Das liegt natürlich auch an diesem Pastor, seiner Empathie. Der sich hier seit zehn Jahren aufreibt für seine Mitmenschen. Der mit seiner Familie direkt neben der Kirche wohnt.
Der zuhört. Der hinschaut. Auch auf die aktuelle Schnappatmung der Kirche. Die Menschen fragen ihn: „Was ist da los? Was nun?“ Negative Schlagzeilen. Es geht um die Studie zu sexuellem Missbrauch in der Evangelischen Kirche, die nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sei. Denn die Forscher der Studie beklagen, dass sie viele Personalakten gar nicht einsehen konnten. Das tatsächliche Ausmaß der Missbrauchsfälle dürfte weit größer sein. Die Administration der Kirche, die wenig kooperativen Landeskirchen haben versagt.
Der Pastor ist fassungslos, wie viele seiner Gemeindemitglieder. Da habe sich die Kirche als Institution ins Aus geschossen. „Akten vorzuenthalten – das geht gar nicht“, sagt Ostendorf. Jeder Missbrauchsfall sei einer zu viel, sagt jemand im Gottesdienst. Das sei nicht zu entschuldigen. Dialog in der Kirche als Exkurs der Liturgie.
Michael Ostendorf baut Brücken. Jeden Tag. Doch wie sollen sie halten, wenn „die da oben“ die Ufer wegreißen?
Er steht für Aufklärung. Öffnung. Dass Kirche wieder auf der Seite der Opfer und Schwachen stehe – ein Kredit, der verspielt worden sei. Und er sagt: „Ich möchte nicht den Mut verlieren und einen Weg finden, mit dem Drama umzugehen.“ Hat Kirche noch eine Daseinsberechtigung? Ist sie geistlos geworden?
Ostendorf wird sich weiter einsetzen, wo er nur kann. Unrecht zur Sprache bringen. Dabei sei es wichtig, „die Kirchen im Dorf lassen“. Im Sinne des Wortes. Denn sie geben den Menschen einen Ort, wo sie sich versammeln, miteinander sprechen können. Letztlich seien es ja die Menschen, die der Kirche etwas zu bieten hätten. Sie füllen die Häuser mit Leben. Ohne sie bliebe das Sendungsbewusstsein, das die Kirche vorgibt zu haben, ohne ein gutes Programm. Michael Ostendorf will die ganz dicken Bretter weiter bohren. Nicht von ungefähr hat er die Viertelstelle in Billwerder zusätzlich zur seelsorgerischen Versorgung von Allermöhe-Reitbrook und Moorfleet übernommen. Die Menschen dort sollten ihren Treffpunkt Kirche behalten können, den Dialog. Und das funktioniere. Er sehe die Menschen in den Gottesdiensten, die ganz bewusst kommen, „um für ihr Leben ein Stück Schwarzbrot zu bekommen, nicht Toastbrot“, sagt Ostendorf.
Aber vielleicht darf es auch einmal ein Glas Wein oder Traubensaft sein: Der 410. Geburtstag der Dreieinigkeitskirche wird natürlich gefeiert. Mit einem Abendmahlsgottesdienst am Sonntag, 4. Februar, um 10 Uhr und anschließendem Empfang.