Gedichtbuch von Pastor Lütkens, Bericht von Frau Lütkens über die Ereignisse der Franzosenzeit.
Quelle: St.Nikolai Moorfleet, Handyfoto: Michael Ostendorf
Gedichtbuch von Pastor Lütkens, Bericht von Frau Lütkens über die Ereignisse der Franzosenzeit.
Quelle: St.Nikolai Moorfleet, Handyfoto: Michael Ostendorf
Traueranzeige Catharina Elisabeth Ernestine Lütkens, Quelle: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten vom 2. September 1820
Quelle: google books
Catharina Elisabeth Ernestine Lütkens geb. Westphalen (1760-18.8.1820)
Tochter des Kaufmanns und Hamburger Ratsherren >Johann Siegmund Westphalen (4.11.1729-6.1.1800). Frau von >Pastor Lütkens in Moorfleet. Mutter von >Hermann Siegmund Lütkens.
Schwiegermutter von >Dorothea Elisabeth „Doris“ Lütkens geb. Geb. Cossel. Ihre ältere Tochter heiratete den >Hofrat Friedrich Ludwig Fiedler, der in Schiffbek eine Erziehungsanstalt leitete. Die jüngere Tochter Caroline Auguste heiratete 1821 den >Allermöher Pastor Carl Wilhelm Stuhlmann.
Frau Lütkens starb im Jahre 1820. Darüber ist folgendes zu lesen:
„Sanft entschlief den 19ten August, nach vieljährigen körperlichen Leiden,
in ihrem 61sten Lebensjahre, Frau Catharina Elisabeth Ernestine Lütkens, geb. Westphalen,
sel. Herrn Johann Heinrich Lütkens, Pastoris zu Mohrenfleth, Wittwe,
innigst beweint von ihren Kindern, Kindeskindern und übrigen Angehörigen.
Hamburg, 1820“
Quelle: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten vom 2. September 1820
Frau Lütkens geb. Westphalen schreibt über die Franzosenzeit und den Tod ihres Mannes im Anhang des Gedichtbüchleins, das Hermann Siegmund Lütkens zusammen mit der Familie nach dem Tod Pastor Lütkens´ herausgebracht hatte. Dieser hatte gerne Gedichte geschrieben. Sie waren oft auf die Natur und Ereignisse in der Familie oder im Freundeskreis bezogen.
Frau Lütkens war es wichtig, die Umstände des Todes ihres Mannes zu schildern und der Nachwelt zu hinterlassen. Sie gibt einen authentischen Einblick über die Ereignisse und ihr Gemütsleben wieder.
„Da es der Wunsch einiger Freunde ist, bei diesen Gedichten eine nähere Kenntnis von der letzten unglücklichen Zeit zu erhalten, die wahrscheinlich den Tod meines unvergeßlichen Gatten herbei führte; So habe ich mich entschlossen, indem die Abwesenheit meines Sohnes ihm die ganz genaue Kenntnis dieser Unglücksscenen versagte, diesen Gedichten eine kleine Beschreibung der letzten Monate seines mir so teuren Lebens beizufügen. Möchte sein Andenken dadurch in den Herzen edler Menschen erhalten werden, so würde mir die einen Ersatz für die angreifenden Empfindungen geben, welche die lebhafte Erinnerung der großen Leiden, die er noch am Ende seines Lebens zu ertragen hatte, bei mir erregen.
Am 27. November 1813, als am ersten Advent-Sonntage, hielt der Vollendete seine letzte Predigt. Wenn gleich Furcht und Warten der Dinge, die da kommen würden, unsre Brust beengten; so ahnten wir doch nicht, daß so herbe Leiden unser warteten. Leider in derselben Woche, den 2. December, rückten die Franzosen bei uns ein, oder es kamen vielmehr schreckliche Streifzüge, die uns mit Forderungen, welche unsere Kräfte weit überstiegen, so ängstigten, daß wir oft, bei dem gewaltsamen Eindringen, nicht wußten, was wir machen sollten. Unsere schöne Lage, indem wir gewissermaßen eine kleine Insel bewohnten; weil Wasserwege unsere Kirche, unser Haus und noch vier Häuser umschlossen, ward damals so sehr unser Unglück, daß wir vorzüglich mehr litten, als andere Leute.
Die Franzosen brachen unsere Brücken ab, daß wir ganz eingeschlossen waren; versperrten uns den Weg zum Bäcker und zu jeder Ausflucht; nur sie, diese Grausamen, kamen täglich zahlreich zu uns herüber, um uns zu ängstigen.
Diese Angst stieg dann am 5. December so hoch, daß der gute alte Mann in eine tiefe Melancholie versank; denn er sehe, wie wir alle, den unglücklichen Zeitpunkt voraus, wo wir nichts mehr haben würden. Doch die Vorsehung, die selbst die größten Uebel zu unserm Besten zu lenken weiß, führte uns in unserm Leiden eine Hülfe zu, die wir nicht erwarten konnten.
Am 15.December ward uns angezeigt, daß eine ganze Compagnie auf unsere kleine Insel verlegt werden würde, und wir sahen mit Zittern den Captain ankommen, der nun unser Hausgenosse seyn sollte. Aber gerade dieser so gefürchtete Mann, ward fünf Wochen der Erhalter unserer Ruhe, selbst unseres Lebens.
Es sei mir erlaubt, bei dem gerechten Unwillen, den jeder Deutsche gegen diese Nation hat, diesem edlen Manne das verdiente Lob zu erteilen. Er war ein Franzose, aber es schlug in ihm ein deutsches Herz; er war Tröster meines traurigen Gatten; er erquickte uns mit Speise und Trank, und verhinderte alles Zubringen in unser Haus.
Mein Mann bekam durch diese Ruhe die Zeit, zu vier Sonntagen Predigten zu machen, die er aber, äußerer Unruhen wegen, doch nicht halten konnte; denn die Russen kamen nun immer näher, und kleine Scharmützel beunruhigten uns oft, weswegen an keinen Gottesdienst zu denken war.
So ging es bis zum 15.Januar 1814. Da brach unser menschenfreundlicher Captain auf, und verließ uns mit dem Wunsche, daß wir nie Franzosen wiedersehen möchten. Ach, dieser Wunsch ward leider nicht erfüllt, denn am andern Morgen, nachdem sie bei ihrem Rückzuge einige Häuser am Deiche angesteckt hatten, erschienen sie wieder, und da nun kein Offizier mehr bei uns war, gingen die schrecklichen Forderungen um Geld und Lebensmittel wieder an.
Unsere Angst stieg noch höher, denn um 2 Uhr Nachmittags, den 16.Januar, ward uns angekündigt, daß um 4 Uhr die Kirche, unser Haus und alle noch übrigen Häuser in unserer Nähe, angesteckt würden. Wir räumten in dieser zeit so viel wir konnten, aus. Die unglücklichen Menschen, die den Abend zuvor ihre Wohnungen verloren hatten, und zu uns geflüchtet waren, jammerten, wie man sich denken kann.
Eine Wöchnerin auf den Nachbarschaft wollte noch gerne ihr Kind von ihrem geliebten Predigen getauft haben; Sie brachte es, und in dem Augenblicke, als der Gute sein letztes Amtsgeschäfte verrichtete, ward der größte Theil der Häuser seiner Gemeinde um uns angesteckt, so daß er, wie er sich umwandte, die hellen Flammen dieser Wohnungen erblickt.
Nun standen wir da, jeden Augenblick erwartend, daß auch unsere Wohnung, wo wir 31 Jahre so glücklich gelebt hatten, unsere liebe Kirche, daß theure Grab unserer Erstgebornen die Flamme ergreifen würde: als unser Schutzengel, unser geliebt Captain Moreau, zu uns kam, uns verkündend, daß er bei dem Verderber Davoust bewirkt habe, daß fürs Erste die Häuser auf unserer kleinen Insel noch stehen bleiben sollten; denn, da die Russen so nahe waren, hatte dieser Verwüster sich so weit nicht wagen mögen, und der Beschreibung des Capitains geglaubt, daß unser kleiner Platz so unbedeutend sei, daß ihnen aus der Schonung desselben kein Schaden erwachsen könne. Da diesem ehrlosen Menschen nun nicht zu trauen war, so bat uns unser Capitain unsere Sachen doch auf dem Eise zu lassen. In dieser Angst bleiben wir vom Sonntag bis Freitage. Des Morgens zogen die Franzosen durch unser Haus, des Abends die Russen, und wann sie sich tragen, so schossen sie sich nahe an unserem Garten.
Endlich Freitag Abend, den 21.Januar, zogen die Russen bei uns ein, und eine fürchterliche Beschreibung, wie sie die Menschen mißhandelten, die ihn nichts geben könnten, ging ihnen voran. Mein guter Mann ward sehr durch diese Angst ergriffen; und wie nun wirklich die Forderung kam, wir sollten dreimal täglich für 30 Mann Essen fertig haben: So übermannte ihn der Schmerz so, daß er, der sich sonst nie solcher Ausdrücke bediente, ausrief: das ist mein Tod!
Ach, leider hatte er wahr gesagt; von dieser Stunde an ward er krank. Sehr matt und schwach lag er drei Tage, da ergriff ihn der Schlag, und nach neun Tagen, den 2.Februar, trennte die Vorsehung ein Band, welches auf dieser Erde nicht glücklicher seyn kann. So erlebten ich und meine drei Töchter diesen harten Schlage, von allen Verwandten und Freunden, sogar von unseren nächsten Nachbaren getrennt, denn die Letzten hatten so viele Russen in ihren Wohnungen, daß sie nur Augenblicke zu uns herüber eilen konnten.
So entblößt von Allem, standen wir am Sarge des Teuersten, besten Menschen: doch Gott, der seine Menschen nicht verläßt, führte auch mir zwei Schutzengel zu, von welchen der eine Freund nicht die unsichere Elbe, nicht die rohen Krieger scheute, die ihm schon in seinem Hause so viele Unruhe gemacht hatten; er kam und sprach Worte des Trostes am Sarge des geliebten Freundes, dessen Gattin und Kinder ihm nie diese Liebe vergessen werden.
So wird auch unsere Brust stets rege Dankbarkeit gegen den andern Freund fühlen, der sein Leben für uns wagte, und, persönlich der Franzosen Feind, dennoch ihre Nähe nicht scheuend, kam, und Trost in beklommene Herzen sprach. Gott regelte es ihnen, die sie so menschenfreundlich an uns handelten!
Hier könnte ich schließen, doch die letzten Verse, die sich in diesen Buche befinden, verdienen einer kleine Erwähnung. Es war schon in den letzten Tagen vor der Krankheit meine teuren Mannes, als sein vieljähriger Freund, der ehemalige Jurat Stoph, der sich mit seiner kranken Gattin auf unsere Nachbarschaft geflüchtet hatte, starb. Die Frau folgte ihn binnen vier und zwanzig Stunden, und meinem Manne ward die Bitte, ein Paar Verse auf die Särge dieser guten Menschen zu machen. Er, der keine Feder noch Dinge mehr hatte, schrieb die Verse mit Bleistift, und damit endete er diese, für ihn und uns so angenehme Beschäftigung. Als seine lieben Freunde begraben wurden, war er schon vom Schlage gerührt; nur ich sah der Frau mit neidischen Augen nach, indem es immer mein sehnlichster Wunsch war, mit dem zu streben, für den allein ich in dieser Welt zu leben gewünscht habe. Es war nicht Gottes Wille; ich würde auch unrecht handeln, wenn ich unzufrieden wäre, denn mir ward viel Glück, als Gattin und Mutter.
Herzlich wünsche ich Jedem, dem diese Zeilen in die Hände kommen, dass er mit mir aus eigner Erfahrung sagen möge: Daß kein Unglück uns ganz niederdrücken könne, wenn man in einem so glücklichen Verhältnisse lebt, als ich gelebt habe, und durch die treue Liebe meines Sohnes noch lebe.
Im August 1816.
E.Lütkens,
geb. Westphalen“
Dieses letzte Gedicht finden Sie hier.
Quelle: Gedichte von Johann Hinrich Lütkens, Pastor zu Moorfleth im Billwärder, Verlag Conrad Müller, Hamburg 18016, Seite 203-207. Absätze von mir.